Die Suche nach regionaler Küche – Teil 2

In Teil 1 lag der Fokus auf den Kriterien für eine regionale Küche: regionale Herstellung, Saisonalität der Produkte und authentische Zutaten mit ihrem regionale-spezifischen Aroma.

 

Um sich wieder einer „regionalen“ Küche zu nähern, sind entsprechende „historische“ Rezepte zumindest hilfreich. Leider treffen wir an dieser Stelle auf eine gewisse Mangellage. Zwar gibt es bereits Versuche derartige Rezeptsammlungen zusammenzustellen. Häufig beruhen sie auf Kochbüchern des 19. Jahrhunderts für den bürgerlichen Haushalt. Zusätzliche Quellen sind relativ seltene Aufzeichnungen von Hausfrauen oder Küchenangestellten. Bei der Analyse dieser Rezepte fällt schnell auf, dass genauere, namentliche Angaben beispielsweise zu den Gemüsesorten, exakte Mengenangaben sowie spezielle Zubereitungstechniken fehlen.

Der Gesamt-Geschmack dieser Speisen lässt sich oft nur erahnen. Auch die Erinnerung ist nur eine schwache Stütze – reicht sie doch gegebenenfalls 60 bis 70 Jahre in die Generation der Großeltern zurück. Aber in den 1950er und 60er Jahren fanden schon einschneidende Umbrüche im Lebensmittelangebot und dem Ernährungsverhalten statt. Die Landwirtschaft wurde intensiv industrialisiert und neue „moderne“ Produkte dominierten den Markt. Wer kennt noch den Geschmack von traditioneller Butter im Wechsel der Jahreszeiten oder die kräftigen und feinen Nuancen traditioneller Räucherwaren? Dementsprechend änderten sich die Esskultur, das Geschmacksempfinden und Aromen-Sensibilität drastisch.

Die Entwicklung dieser Lebensmittel zielte mit großem Erfolg auf eine Vereinheitlichung des Geschmacks ab. Vielen Gemüsesorten wie Gurken oder Endivien wurde der bittere Geschmack weggezüchtet, Radieschen oder Kohlrabi verloren ihre Schärfe. Oberstes Zuchtziel bei Früchten und Gemüsen – vom Apfel bis zur Tomate – war und ist die Anreicherung des Geschmacks durch einen hohen Zuckeranteil. Der Geschmacks- und Aromen-Verflachung wird mit Geschmacksverstärkern und anderen künstlichen Zusatzstoffen wie z. B. Fruchtestern in Joghurt oder Marmeladen sowie künstlichen Süßungsmitteln begegnet. Die Überspitzung von Aromen hat zu deutlichen Geschmacksverschiebungen geführt, die die Akzeptanz und Suche nach regionaler Küche behindern, die mit sanfteren aber gleichzeitig vielschichtigen Aromen-Spektren arbeiten konnte.

Die skizzierten Schwierigkeiten lassen ein identisches Nachkochen regionaler Küchen eher als Illusion erscheinen. Gleichwohl sollten die erahnten Geschmacksbilder als Leitlinie dienen und Inspiration für „moderne“ Interpretationen sein. Mit viel Können müssten die Lücken gefüllt werden, die durch Verluste zahlreicher Produkte entstanden sind. Dies gilt sowohl für den Einsatz quasi vergessener Produkte wie Schwarzkohl, Sellerie oder Pastinake als auch für die Entdeckung neuer, regionstypischer Produkte oder Aromen-Muster. Hierfür lassen sich interessante Beispiele finden: So ist in der Bretagne ein verstärkter Einsatz von Algen zu beobachten – z. B. Meersalat als Aromen-Geber für ein Parfait. Warum nicht einen Blick in die portugiesische Küche wagen und mit der Kombination von Schweinefleisch und Muscheln experimentieren? Vielleicht lässt sich ein Produzent für die Herstellung einer Fisch-Würzsauce aus fermentierten Sprotten finden.

Mit Fantasie, Engagement und Kooperationen auf Seiten der kulinarischen Akteure könnten Impulse gegeben werden, die maßgeblich die Suche nach „regionaler Küche mit Zukunft“ unterstützen.